5. April 2008

Defizite

Ich erinnere mich nicht mehr an deine Schritte. Du warst einfach da, du bist nicht gekommen, nicht angekommen, nicht fortgegangen, nicht zurückgekommen, in meiner Erinnerung fehlt das gleichmäßige Tappen deiner Füße, dein Rhythmus.

Ich erinnere mich an dein Lächeln, mit den pechschwarzen Augen, selten mit dem Mund, als verbärgest du darin kostbare weiße Perlen, die zu zeigen ein Risiko wäre. Du lächelst vergnügter als Andere, du, der vernünftige, mit den zwei kleinen Fältchen, die sich dann in den Winkeln deiner klugen und eindringlich dreinblickenden Augen, kaum merklich, bilden.
Ich erinnere mich an dein Lächeln, aber nicht, warum du lächeltest.

Ich erinnere mich an deinen Mund, wie er aussah, bei jedem Vokal, jedem Konsonant, den er in prophetischen Reden formte. Ich kenne genau die Form deiner Lippen im Ruhezustand, weiß, was es bedeutet, wenn dein rechter Mundwinkel, nur für geübte Augen sichtbar, sich einen halben Milimeter nach oben oder unten bewegt.

Ich erinnere mich nicht an deine Hände, ihre Gestalt, die Linien auf den Handflächen, die Form deiner Finger, ich erinnere mich, wie sie brannten.

Ich erinnere mich, wie ich am Fenster stand. Im Hof spielten Kinder, kleine, blau-gelbe Jungs, blaue Mützen, Ball. An den eiskalten Küchenfußboden. Nicht an deine Schritte, plötzlich warst du hinter mir, bei mir, deine Arme um mich. An die Brandmahle deiner Berührung. An meine Tränen, Stille.
Da bin ich gegangen, vor eine Stunde, vor hundert Jahren.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Einfach schön, mehr fällt einem dazu nicht ein. Die Prise aus Kummer, Leidenschaft und sehr viel Gefühl ergeben hier die richtige Mischung der Emotionen. Ein Text der so schön absolut geschrieben ist, dass sich jeder im Innersten damit identifizieren kann und trotzdem einen Einblick in das Leben der Autorin gibt.
Ein Eintrag auf ganz hohem Nivea(u)